Edgar Wind - Kommentare, Beiträge Antworten

 

 

12. Mai 2020

ein E-Mail-Gespräch mit Doro Camara:

1. der Kommentar von Doro C.

2. meine Antwort mit Doros Bemerkungen (in grün)

Lieber Ralf,
 
danke Dir für dein erstes IRWEK-Video ! Es war mir sehr hilfreich. Es hat mir geholfen verstehen und nun auch verbalisieren zu können, warum Kunst und Spiritualität für mich persönlich immer so nah beeinander waren/sind.
Für mich ist Kunst eine der Brücken zwischen unserer spirituellen/energetischen Ebene (auf der sich unser wahres Selbst aufhält) und der materiellen Ebene der Erscheinungen (in der sich unser psychologisches Ich heranbildet). Ich finde es wichtig, hier noch einmal bewusst zu differenzieren: die Befreiung der Kunst von der Diktatur religiöser Institutionen ist wunderbar, sollte jedoch nicht mit sich ziehen, dass diese spirituelle Dimension von Kunst ebenfalls über den Haufen geworfen wird.
Kunst berührt uns in der Welt der Erscheinungen durch die Mittel der Welt der Erscheinungen und öffnet unsere Wahrnehmung auf das wahre Selbst in jedem Einzelnen, auf die jedem von uns innenwohnende Göttlichkeit ( das Gemälde vom göttlichen Funken bringt meinen Gedanken vlt. auf den Punkt ).
 
Aus diesem Verständnis von Kunst heraus möchte ich zu den Punkten, die du ins Gespräch gebracht hast, Folgendes schreiben:
- statt von verstörender würde ich lieber von hinweisender Kraft sprechen. Verstörend ist sie lediglich aus dem Blickwinkel der gesellschaftlichen, kapitalistisch geprägten Realität.
- die heilige Furcht ist für mich nicht vorbei, ich finde diesen Ausdruck sogar sehr passend,denn wenn ich mich von der Kunst berühren lasse, und mich (noch) mit meinem psychologischen Ego identifiziere, kann diese Furcht doch durchaus hervortreten.
- du erwähntest das Wort Gefahr als eine Seite der Kunst. Nach meinem Verständnis von Kunst ist sie keine Gefahr an sich, doch in zweierlei Hinsicht stimme ich dir trotzdem zu :) . Gefahr für das raubtierhafte kapitalistische System, ja auf jeden Fall. Und wenn ich das Wort Gefahr auf mein Bild der Brücke beziehe, dann passt es insoweit, als dass ich, wenn ich über eine Brücke gehe, mich potenziell einer Gefahr aussetze. Soll heißen, es ist wichtig zu wissen,ob die Brücke stabil ist, wie sie beschaffen ist,worauf ich bei der Benutzung achten sollte, und zu welchen Zeiten sie nicht betreten werden sollte.
- zu der Frage, immer mehr Kunst haben/machen möchte ich sagen : das bringt nicht viel wenn sie lediglich konsumiert also sozusagen vom Kapitalismus verschlungen wird. Immer mehr Kunst im Sinne von Beuys Ansatz sehe ich dagegen als wünschenswert würde es doch bedeuten, dass der Einzelne sich mit seiner Kreativität, mit seinem eigenen göttlichen Funken verbindet. und daraus kann ein Menge Veränderung in der materiellen Welt erwachsen. In dem Sinne ist die Vermehrung von Kunst vlt. sogar unausweichlich, wenn wir sie als ein Weg zur Bewusstseinsentwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft nutzen. Und Bewusstseinsentwicklung ist für mich die notwendige Voraussetzung zur, wie du es nennst, Rettung der Welt - ich würde vlt. lieber von dem Weg zu einer geglückteren Welt sprechen.
 
So, das ist jetzt recht viel Text, weniger ging nicht. Es ist sogar so, dass ich nicht alle meine Gedanken aufgeschrieben habe, die sich explosionsartig in meinem Kopf ausgebreitet haben. Vielen Dank also nochmal für dein anregendes Gedankenspiel, ich werde mich freuen, wenn du mir schreibst, wie meine Anmerkungen auf dich wirken.

 

liebe Doro,
 
danke dir sehr für deinen ausführlichen Kommentar zum ersten IRWEGK-Video! Freut mich sehr, dass es dich dazu angeregt hat, das eigene Verständnis von Kunst in Worte zu fassen.
Kannst du dir vorstellen, dass ich deinen Text als Kommentar auf den IRWEGK-Blog stelle? Mit oder ohne Namen, mit oder ohne meine Antwort?
 
Wobei wir jetzt eigentlich an dem Punkt angekommen sind, wo ein “richtiges” Gespräch angebracht wäre, statt auf einzelne Punkte in E-Mails zu antworten. Bin ganz deiner Meinung ! Trotzdem will ich zwei, drei Bemerkungen machen.
 
Verstörung, heilige Furcht und Kunst als Gefahr sind Begriffe, die ich von Edgar Wind und Platon übernommen habe. Das kann man auch anders ausdrücken. Aber mir schien es interessant, das in dieser Konsequenz zu formulieren. Außerdem geht es darum, dass es kunsthistorisch betrachtet, diese Furcht, Gefahr etc. als Phänomen gegeben hat und es immer wieder Bestrebungen gab, die Kunst zu reglementieren.

Ja, genau das meinte ich damit, dass Kunst immer eine Gefahr für eine machtorientierte (kapitalistische) Gesellschaft darstellt.

Das ist besonders in unserem Metier, der Stimme, gut zu erkennen. 
 
Zum sehr komplexen und ambivalenten Verhältnis von Kunst und Kapitalismus habe ich in meinem kleinen Buch (Künstler sein im Kapitalismus) einiges gesagt.

Macht mich neugierig, das zu lesen ! Ob und inwiefern Kunst eine Gefahr für das “raubtierhafte kapitalistische System” darstellt, ist mir nicht so klar wie dir. Ich hatte angenommen, dass es dir viel klarer ist als mir :). Genau genommen ist das eine der offenen Fragen, mit denen ich mich auf dem IRWEGK beschäftige.
 
Mein Eindruck ist, dass du eine sehr klare Vorstellung von Kunst und ihrer Rolle im Leben und in der Welt hast. Ich selbst versuche mich - in meiner Rolle als IRWEGK-Sekretär - weniger festzulegen, um den Raum für verschiedene Formen von Aktivitäten “im Geiste der Kunst” offen zu halten. Schöne Vorstellung, du als Sekretär.
Aber für diese Aktivitäten ist es natürlich gut, sein Verständnis von Kunst einigermaßen geklärt zu haben. Und im IRWEGK-Kontext wäre meine Frage an dich:
Was kannst du denn jetzt aus deinem Kunstverständnis heraus tun, um zu einer geglückteren Welt, wie du das nennst, beizutragen? Denn darum geht es ja! Wenn ich dich recht verstehe, wäre ein Weg, mehr Kunst in die Welt zu bringen, die zu einer Bewusstseinsentwicklung der Menschen etwas beisteuern kann.

Das ist eine tolle Frage, deren Antwort du im Kern vlt. sogar gerade für mich formuliert hast. Ich lass das mal in mir wirken, damit es im besten Fall zu einer konkreten Umsetzung kommt. Vlt. habe ich sie auch schon ein Stück weit umgesetzt, darüber ließe sich viel sagen.
Was hast du vor? Eigene Kunstprojekte? Vielleicht andere Leute zum künstlerischen Schaffen in diesem Sinne animieren und begleiten?
Bin gespannt, wie es weitergeht! Ich auch!
 
soweit erstmal!
 
schöne Grüße vom IRWEGK!
 

 


 

3. Mai 2020

ein Kommentar von der Kollegin Maria Gorius:

 

Guten Tag lieber Ralf,
deine „Videobotschaft“ ist für mich eine wunderbare Arbeit zum Tag der Arbeit.
Erstmal herzlichen Dank dafür!
Obgleich ich deine Anregungen für mein Weiterdenken in wohldosierten Häppchen aufnehmen konnte, braucht es erst mal Zeit zum Verdauen.
Was ich sofort genießen durfte, war deine Zwischenmusik, insbesondere die letzten beiden Sequenzen….  das nährt auch meine Sehnsucht nach gemeinsamer Stimmarbeit…

 

Zurück zum IRWEGK:
Bevor mich heute dein Video überraschte, las ich in den Fünf Meditationen über die Schönheit von Francois Cheng. Diese Lektüre – übrigens ein Tipp Dorissas  via deinen IRWEGK-Blog –  begleitet mich seit einigen Tagen.
In  Zweite Meditation schreibt Cheng: Sagen wir präziser, dass wir unter „Bedeutung“ nicht unbedingt einen intentionalen Akt in Hinblick auf etwas verstehen (S. 36f).
 
Nachdem ich dein Video gesehen habe, „nage“ ich jetzt an der Verbindung dessen, was ich heute bei Cheng las und dem Begriff der „Bedeutsamkeit“, der der vierten These zugrunde liegen könnte. Die Idee der „Vorbildfunktion der Künstler*innen“ wirkt auf mich beim ersten Hören sehr pädagogisch.
 
Doch erst mal alles sacken lassen.
So wünsch ich  einen schönen Einstieg in den Wonnemonat Mai, na ja, mal schauen…
Mit liebem Gruß von Maria

 

... und meine Antwort:
liebe Maria,
hier ein paar Anmerkungen von mir zu deinen Kommentaren:

Danke für den Hinweis auf Francois Cheng! Das Buch ist jetzt schon ein paar Mal aufgetaucht. Bislang kenne ich Cheng nur als Übersetzer von chinesischen Gedichten. Die Meditationen schau ich mir mal an. Das Zitat von ihm geht in eine ähnliche Richtung wie meine Überlegungen. Ich unterscheide an der Stelle manchmal zwischen Bedeutung und Bedeutsamkeit. Gerade in der Arbeit mit der Stimme kann das klärend sein. Die Stimme schafft mit ihren Klängen ein Feld von Bedeutsamkeit, das noch nicht mit Absicht verbunden sein muss. Aber dadurch verweist die Stimme immer schon auf etwas, das mehr ist als ein Klangphänomen. Das ist in der Kunst im allgemeinen vielleicht ganz ähnlich. Kunst schafft einen Raum von Bedeutsamkeit, in dem verschiedene Bedeutungen auftauchen können. Aber die Bedeutsamkeit allein färbt bereits das Feld.

Was die Vorbildfunktion der Künstler*innen angeht: Pädagogik ist da für mich nur in einer Hinsicht im Spiel. Künstler*innen geben mit ihrer Art des Weltverhältnisses ein Beispiel dafür, wie es auch gehen kann. An diesem Beispiel kann man lernen, ohne dass von Seiten der Kunstschaffenden irgendein “Lehren” intendiert wäre.

soweit fürs erste.  Wir bleiben dran!

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