Heilige und Landschaft
Eine gemeinsame Suche nach einem künstlerischen Weltbezug mit Ralf Peters
Dienstag, Allerheiligen (!) 1. November 2022 in Köln
Die Krise unserer Zeit, die sich in ökologischen, gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen äußert, ist auch eine geistige Krise. Die Umweltzerstörung konnte nicht zuletzt deshalb solche dramatischen Ausmaße annehmen, weil das Gefühl für die Bedeutung und Bedeutsamkeit unserer Lebenswelt abhanden gekommen ist. Ergebnis ist die sprichwörtliche Heimatlosigkeit des modernen Menschen. Als Arbeitsthese dieses Tages nehme ich an, dass ein künstlerischer Weltbezug den Ansatzpunkt liefern kann für eine andere Wahrnehmung und einen anderen Umgang mit der Welt.
Orte, Wege, Dinge, Ideen und mir wichtige Menschen besitzen eine eigene Würde, die in einem durch Ökonomisierung und Verwissenschaftlichung geprägten Weltbezug kaum noch anerkannt wird.
An Allerheiligen haben wir uns über die Themen eines persönlichen Heiligenkalenders und den Begriff der Landschaft ausgetauscht. Unten gibt es Text- und Audiomaterial dazu.
Begrüßung und Einführung:
Ich habe einen Vortrag von Ulrike Hermann gesehen, die gerade ein Buch geschrieben hat mit dem Titel „Das Ende des Kapitalismus“.
Darin sagt sie, dass wir die Idee aufgeben müssen, es wäre möglich, das kapitalistische Wirtschaftssystem einfach grün anzumalen und ansonsten mit der Wachstumsdoktrin weiterzumachen. Wir werden schrumpfen müssen. Auf die Hälfte dessen schrumpfen, was im Moment an Wirtschaftsleistung in Deutschland erbracht wird, würde bedeuten, auf das Niveau von 1978 zurück zu gehen. Das hört sich jetzt nicht sehr bedrohlich an.
Für sie ist aber die entscheidende Frage, wie wir aus dem Karussell des Wirtschaftswachstums aussteigen und in eine Kreislaufwirtschaft auf niedrigerem Niveau kommen sollen. Die Frage ist noch unbeantwortet, doch Hermann sucht sie nur im Bereich der Wirtschaft selbst. Das ist, so glaube ich, zu kurz gegriffen. Wir müssen für eine solche Transformation unser mindset ändern, das bislang kapitalistisch geprägt ist. Das gilt meines Erachtens für alle Menschen in den westlichen Ländern.
Ein neuer Geist der nicht mehr dem Kapitalismus gehorcht, muss gefunden und eingeübt werden. Das ist eine Aufgabe, die sich IRWEGK stellt. Die Arbeitsthese lautet: Dieses Mindset ist im Feld der Kunst zu finden, wo es eine andere Art gibt, das Verhältnis zwischen Welt und Menschen zu verstehen, als das in der Moderne üblich war. Nicht Trennung von Subjekt und Objekt, nicht die Welt nur als wissenschaftlichen Gegenstand sehen oder die Natur als auszubeutende Ressource, Mülleimer oder Erholungsgebiet.
Und hier kommen wir schon auf den Begriff der Landschaft, mit dem ich uns heute beschäftigen will.
Ich beziehe mich dabei auf einen Artikel des Schriftstellers Volker Demuth „Landschaftsentfaltung“ der vor einiger Zeit in der Lettre International erschienen ist. Mittlerweile gibt es ein Buch von Demuth mit dem Titel „Unruhige Landschaften“ Untertitel „Ästhetik und Ökologie“. Das ist also nicht sehr weit weg von dem, was wir hier versuchen.
Der Begriff der Landschaft ist auch längst kapitalistisch eingetütet worden: „Wir haben uns, so scheint es, in der Mehrzahl daran gewöhnt, Landschaft in zwei Bereiche aufzutrennen: einerseits in einen Erlebnisraum, worin Landschaften als sentimentale Auffanglager und Wellnessbereiche für Zivilisationsmüde bereitgehalten werden und Idyllen ästhetische Relaxantien für den gestressten Psychohaushalt abgeben; zum anderen in einen Benutzungsraum, den wir ausbeuten und aus dem wir soviel Kapital schlagen wie möglich. In bizarrer Parallelität liegen Landschaften mit agrarindustrieller Intensivnutzung und landschaftliche Tourismuskulissen mit Erholungswert unmittelbar nebeneinander.“ (Demuth, S. 56)
Sondern die grundlegende Bezogenheit und Abhängigkeit von Mensch und Welt wieder neu entdecken. Und auch das Verhältnis von Mensch zu Mensch, wie es heute üblich ist, zu überdenken.
Beides will ich heute über die Begriffe des Heiligenkalenders und der Landschaft probieren.
Einführung zum persönlichen Heiligenkalender
Zum ersten Mal habe ich den Begriff des Heiligenkalenders außerhalb des christlichen Kontextes von meinem Philosophieprofessor gehört, der in einer Diskussion über Wittgenstein sagte, dass er in seinem persönlichen Heiligenkalender stünde.
Eine andere Geschichte, die für mich hierher gehört habe ich in Taiwan gehört. Da ging es zwar nicht um Heilige, sondern um Götter, aber vielleicht liegen beide Konzepte gar nicht so weit auseinander. Mich hat gewundert, dass es im Daoismus real existiert habende Figuren gibt, die später zu Göttern wurden und in Tempeln angebetet werden. Lao Tse, der Autor des Tao Te King oder auch Konfuzius.
Die Erklärung, die ich gefunden habe, besagt, dass diese Menschen bis heute einen Einfluss auf die Welt ausüben. Ihre Wirkung ist in der Geschichte so stark, dass man sie mit göttlichen und mit natürlichen Kräften vergleichen kann.
Das scheint mir eine gute Definition des Heiligen zu sein. In unserem Falle der Heiligen, die auf unser Leben diese starke Wirkung ausgeübt haben oder noch ausüben.
Das können Menschen sein, die nur für mich persönlich Heilige in diesem Sinne sind, oder Personen, die auf viele Menschen einen starken Einfluss ausgeübt haben.
In der katholischen Kirche, die die Heiligen ja in gewisser Weise erfunden hat, kann man erst heilig werden, wenn man schon das Zeitliche gesegnet hat. Das ist für unseren Heiligenkalender auch eine gute Regel. Natürlich gibt es Menschen, die zum Glück noch leben und auf mich einen wichtigen und starken Einfluss ausüben. Aber mit diesen Menschen verbindet mich eine andere Beziehung als zu meinen Heiligen!
Einführung zum Umgang mit der Landschaft
Die Landschaft ist als Begriff hilfreicher als die Natur, um die Bezogenheit des Menschen zu seinem Lebensraum zu verstehen. Landschaft ist ein „natural-sozialer Raum“, d.h. die Landschaft ist nicht einfach Natur, sondern ein Zusammenhang, der aus natürlichen, sozialen und kulturellen Aspekten zusammengesetzt ist und irgendwie als eine Einheit wahrgenommen wird.
Die Natur dagegen ist das „Andere“, etwas, was ganz unabhängig von Kultur oder dem Menschen existieren kann. (Auch wenn Natur in diesem Sinne zur Zeit nicht mehr existiert, weil die ganze Erde von menschlichen Eingriffen betroffen ist.)
Landschaft ist ein System von Beziehungen, denen ich begegnen kann: sinnlich, emotional, kognitiv – ästhetisch, spirituell, Bedeutung gebend, Bezug nehmend)
Im Mittelalter „band Landschaft die Physis einer Gegend und jene Menschen, die in ihr als Gemeinschaft wirkten und ihr Dasein zubrachten, zu einer untrennbaren Lebenseinheit zusammen“. (Demuth, S. 53) Da wollen wir ja nicht wieder hin, aber daraus lässt sich für unsere Situation etwas lernen. Wenn wir uns als Menschen so verstehen, dass wir in Landschaften mit einbezogen sind, dass erkennen wir vielleicht schneller und besser die ethischen Konsequenzen. Es gibt ein Ethos der Bezogenheit. Ich muss mich zu den Bezügen, in denen ich lebe, verhalten.
Ein weiterer wichtiger Punkt des alten Landschaftsbegriffes war seine metaphysische Dimension. In allen Kulturen vor der Moderne waren Geister, Götter oder Gott in der Landschaft präsent. D.h. das Heilige war immer Teil der Landschaft. Das ist für uns heute fast unvorstellbar geworden. Die Frage ist, wie können wir etwas von dieser Heiligkeitsidee wiederfinden, ohne auf Gott oder die Götter setzen zu müssen?
Landschaft als ästhetische Einheit.
Später, in Renaissance und Neuzeit wird die Landschaft zu einer ästhetischen Einheit. Ich schaue als Mensch plötzlich auf eine Landschaft (statt Teil von ihr zu sein), oder gar auf ein Landschaftsgemälde. Dieses Schauen löst in mir eine innere Reaktion aus. D.h. es gibt eine Korrespondenz von Innen und Außen. Über eine Landschaft reden heißt über sich selbst zu sprechen.
Auch das ist eine Bezogenheit, die für unsere Praxis der Einübung eines künstlerischen Weltbezugs wichtig sein kann. Am besten in der Kombination mit der früheren Idee von Landschaft, die ich oben skizziert habe.
Für heute können wir versuchen, den Begriff der Landschaft mit dem des Ortes zu verbinden. „Zur Verfassung des Menschen gehört, dass er Teil des Raumes ist, nicht eines abstrakten – logischen, mathematischen - Raums, sondern von Orten und Landschaften.“ (Demuth, S. 55)
Die Orte, an denen ich lebe oder zu denen ich ab und zu fahre etc. stellen Landschaften dar oder sind die Zentren von um sie herum gelegten Landschaften. D.h. Es sind Bezugsysteme, die mitbestimmen, wie ich lebe. Da gibt es Abhängigkeiten, Möglichkeiten, Bedingungen, Chancen, Freiheiten und Notwendigkeiten usw. die mit der Landschaft verbunden sind.
(Landschaft wird also zu einem metaphorischen Begriff und zugleich bleibt er ein konkreter Begriff. Damit können wir spielen.)
Literatur, die beim IRWEGK-Tag erwähnt wurde:
Bruno Latour: Wo bin ich? Lektionen aus dem Lockdown
Ulrike Hermann: Das Ende des Kapitalismus
Volker Demuth: Unruhige Landschaften: Ästhetik und Ökologie
Annette Kehnel: Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit
Doris Konradi: Aber die Insel
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